Eindrucks­vol­le Gedan­ken zum Volks­trau­er­tag 2022 der Schülerinnen und Schüler des Carl-Fuhlrott-Gymnasiums

Ehrenmal in Wuppertal - Cronenberg bei Nacht und mit Bengalischen Feuern beleuchtetIm Rahmen der Feier­stun­de zum Volks­trau­er­tag 2022 am Ehren­mal in Wupper­tal Cronen­berg haben die Schülerinnen und Schüler des Carl-Fuhlrott-Gymnasiums

Lars von der Au, Kenzy Saleh, Finia Fißeler und Marcel unter der Leitung von Frau Susan­na Roberts und in Zusam­men­at­beit mit Pfarrer i.R. Eckehard Fröhmelt ihre Gedan­ken zum Frieden in der Welt zusam­men­ge­tra­gen und in einer ergrei­fen­de Rede während der Feier­stun­de vorgetragen.

Rede Volks­trau­er­tag

(13.11.2022)

Einlei­ten­der Teil (Lars):

„Friede ist nicht die Abwesen­heit von Krieg. Friede ist eine Tugend, eine Geistes­hal­tung, eine Neigung zu Güte, Vertrau­en und Gerech­tig­keit.“ Gleich­wohl dieses Zitat schon fast vierhun­dert Jahre alt ist, ist dessen Botschaft aktuel­ler denn je. Denn in den vergan­ge­nen drei Jahrzehn­ten konnten wir in Europa in Frieden, den wir als Kostbar­keit zu wertschät­zen verga­ßen, leben und trotz aller Bemühun­gen konnten wir diesen wertvol­len Zustand nicht erhal­ten. Haben wir die Tugend des Friedens vielleicht verlernt?

In diesem Jahr wurden wir schmerz­voll in die Reali­tät geris­sen, dass Frieden auch in Europa fragi­ler ist als wir ihn uns vorstell­ten. Wir erleben, wie sich der Fortschritt der vergan­gen 30 Jahre in Luft aufzu­lö­sen scheint und vom Still­stand des Kriegs überschat­tet wird. Die Welt scheint aus ihren Fugen zu raten: Der Krieg in der Ukrai­ne bedroht unsere Sicher­heit, Großmäch­te spielen wieder mit dem Feuer, Gesell­schaf­ten werden gespal­te­ner und die Klima­kri­se bedroht unsere Existenz auf diesem Plane­ten. Doch auch wenn die heuti­ge Zeit von vielen Heraus­for­de­run­gen beglei­tet ist, die unser­ei­nen überfor­dern mögen, zu welcher Zeit gab es keine existen­zi­el­len Proble­me, die wir nicht zu überwin­den vermoch­ten? Bei allen Krisen der Vergan­gen­heit machte sich Defätis­mus breit und doch leben wir noch und das in einer insge­samt besse­ren Welt als noch vor 30 Jahren. Durch Panik­ma­che dürfen wir uns nicht beirren lassen, denn die Gegner der Demokra­tie und des Friedens nutzen sie, um uns zu spalten, uns handlungs­un­fä­hig zu machen.

Aber wie sollten wir zukünf­tig handeln, um den Proble­men der Welt entge­gen­zu­tre­ten und vor allem den so wichti­gen Frieden zu wahren?

Kenzy:

Dies ist eine sehr inter­es­san­te Frage. Es ist wichtig, dass wir hier alle zusam­men­ge­kom­men sind. Bezüg­lich der aktuel­len Lage in der Ukrai­ne ist es wichti­ger denn je, dass wir zusam­men­hal­ten. Den Frieden, den wir die letzten 30 Jahre hatten, haben wir zu wenig geschätzt. Dies muss wieder geändert werden. Wir dürfen die Augen davor nicht verschlie­ßen. Die Geschich­te der letzten Jahre darf nicht in Verges­sen­heit geraten.

Viele Geflüch­te­te sind trauma­ti­siert. Diese Geschich­te darf sich nicht wieder­ho­len. Unsere größte Stärke sind die Bündnis­se mit den anderen europäi­schen Ländern. Ihnen verdan­ken wir das große Glück, das unser Land seit über 30 Jahren genießt: In einem verein­ten Land zu leben, in Wohlstand und in Frieden mit unseren Nachbarn. Wenn wir wollen, dass diese letzten 30 Jahre keine histo­ri­sche Ausnah­me bleiben, dann müssen wir alles tun für den Zusam­men­halt der Europäi­schen Union. Es ist wichtig, ein Zeichen gegen Putins Krieg zu setzen und sich solida­risch zu verhal­ten. Nicht nur mit der Ukrai­ne, sondern auch gegen­über allen Kriegs­op­fern bzw. Kriegs­be­trof­fe­nen. Es ist an der Zeit, das freie und offene, gerech­te und fried­li­che Europa zu vertei­di­gen. Wir werden es verteidigen.

Krieg spaltet. Krieg zerstört Famili­en. Krieg verbrei­tet Trauma und setzte Trauma wieder frei.

Es ist unsere Aufga­be als verant­wor­tungs­be­wuss­te Bürger, dem Krieg erst keine Fläche zu geben so viel zu zerstö­ren. Uns zu zerstö­ren oder unsere Familie. Es ist längst die Zeit gekom­men, den ganzen Hass in unserer Welt zu stoppen. Unsere Aufga­be ist es, dass wir alle gemein­sam leben können. Mitein­an­der in Frieden. Es ist unsere Aufga­be, dass sich die Fehler aus der Vergan­gen­heit nicht wieder­ho­len. Wir müssen bewei­sen, dass wir aus diesen Fehlern gelernt haben, indem wir die Vergan­gen­heit immer wieder aufar­bei­ten und nicht totschwei­gen. Genau­so dürfen wir die Augen nicht vor den heuti­gen Konflik­ten verschlie­ßen, wie vor dem erwähn­ten Ukrai­ne Krieg.

Persön­li­che Erfah­rung (Finia):

Ich würde gerne diese Rede als Anlass nutzen, als erstes die Flucht­ge­schich­te meiner Oma mit Ihnen zu teilen, um zu verdeut­li­chen, wie Krieg damals meine Familie wie so viele andere Famili­en ausein­an­der­ge­ris­sen hat.

Im Januar 1945 musste meine Oma mit ihren 6 Geschwis­tern, Mutter und Großmutter vor der roten Armee aus Westpreu­ßen fliehen.

Stellen Sie sich vor, ein 6 Jahre altes Mädchen aus dem alten Leben geris­sen, plötz­lich auf der Flucht, bei minus 25 Grad im Schnee mit Pferde­schlit­ten in das Ungewisse.

Trotz aller Widrig­kei­ten, wie der Fußmarsch, der auf das Erfrie­ren der Pferde folgte, schaff­te sie es bis nach Bolten­ha­gen. Dort erwar­tet das junge Mädchen jedoch ein Leben in Armut. Der Vater im Krieg, die Mutter allein, die Kinder verletz­lich. Nun muss das Mädchen schon im jungen Alter ihre eigenen Kleider Stricken, das Holz sägen und das Essen vom Feld ernten. Wenn ich mir vorstel­le, heute monate­lang von einge­koch­ten Brenn­nes­seln und anderen Sträu­chern zu leben, dann läuft es mir den Rücken hinunter.

Zudem lastet das Trauma der Flucht auf ihr. Bis heute konnte meine Oma nie wieder auf dem Boden schla­fen, aufgrund der unzäh­li­gen Nächte, die frierend in Tierstäl­len ausge­harrt wurden.

1945 ist der Krieg endlich zu Ende und zwei Jahre später darf der Vater aus dem ameri­ka­ni­schem Gefan­ge­nen­la­ger nach Hause kommen. Nun steht für die Kinder plötz­lich ein fremder Mann in ihrem Haus. Sie nehmen ihren Vater zum ersten Mal mit Verstand war, denn bis dato kannten sie ihn ja nicht wirklich und er sie genau­so wenig. Das macht Krieg. Er entfrem­det Famili­en, stürzt sie in Armut und trauma­ti­siert Kinder.

Der letzte Punkt, der meiner Oma sehr wichtig ist, ist der jahre­lan­ge Kontakt­ver­lust, den Vater und Mutter durch­le­ben mussten. Stellen Sie sich vor, Sie wissen jahre­lang nicht, wo der jeweils andere ist, ob er überhaupt noch lebt. Ein Leben in solche einer Ungewiss­heit ist heute undenk­bar. Wenn ich beden­ke, wie viele Eltern schon nervös werden, wenn ihre Kinder 30 Minuten zu spät sind, oder mal nicht an ihr Telefon gehen, da wird einem die Drama­tik der damali­gen Situa­ti­on noch stärker bewusst.

Das gesam­te Ausmaß dieses Leidens ist für mich und meine Genera­ti­on nicht zu fassen. Allein in Deutsch­land gibt es Millio­nen von Geschich­ten ähnlich wie diese. Das ist leider unser trauri­ges Erbe. Die Frage, die sich mir jetzt stellt, ist, wie wir damit als heuti­ge Genera­ti­on umgehen.

In einem Gespräch über genau dieses Thema mit dem Physio­the­ra­peu­ten meiner Oma sagte dieser einen Satz, der mir nicht mehr aus dem Kopf gehen will. Er antwor­te­te auf die Frage, warum die heuti­ge Genera­ti­on so wenig über die Geschich­te weiß: „Die alte Genera­ti­on ist mit der Geschich­te aufge­wach­sen, die junge Genera­ti­on jedoch muss diese erlernen.“

Und genau das ist unsere Aufga­be: Die Geschich­te zu erler­nen und sie mit uns zu tragen, damit es nicht nur Geschich­ten sind, die in Büchern stehen, sondern Geschich­ten, die ein Gesicht haben. Wie die Geschich­te meiner Oma, die dort hinten sitzt.

Marcel:

Die Erfah­rung können nur wenige machen, das Wissen darum sollte aber allen zugäng­lich bleiben. Heute erinnern wir uns nicht nur an das Leiden der Menschen, sondern auch an die Opfer der Jahrhun­dert­ka­ta­stro­phe. Über 100 Jahre nach Beginn des Ersten Weltkrie­ges und über 80 Jahre nach Ausbruch des Zweiten Weltkrie­ges geden­ken wir der Opfer der Gewalt­herr­schaft. Wir geden­ken den Kriegs­op­fern, denken an die Toten von Massa­kern und Genozi­den, den Solda­ten und Opfer der Diktaturen.

Den schnells­ten Weg zum Krieg errei­chen wir, indem wir den Wert des Friedens verges­sen, verschät­zen und ihn als selbst­ver­ständ­lich nehmen. So hat es einmal Erich Kästner gesagt: „Glaub‘ nicht, ihr hättet eine Millio­nen Feinde. Euer einzi­ger Feind ist Krieg.“ Diese Tugend ist nach vielen Jahren von Frieden in letzter Zeit verlo­ren gegan­gen. Wir gucken viel mehr auf unsere Unter­schie­de und Konflik­te, anstatt unsere gemein­sa­men Inter­es­sen zu sehen und den Krieg zu vermei­den. An diesem Erinne­rungs­tag rufen wir den Schmerz, den Krieg auslöst, auf und folgen unserer Verpflich­tung nach Frieden zu streben.

Die Veröf­fent­li­chung der Reden mit Nennung der Namen ist mit den Betei­lig­ten abgestimmt worden.